Ausstellung Obertor in Winterthur mit Pascale Rochat

2018 | Räume Inzwischen | Obertor 22 | Winterthur

Ausstellung Obertor in Winterthur mit Pascale Rochat

BEGRÜSSUNGSREDE ZUR VERNISSAGE
3. NOV 2018
HAUS ZUM BIBER, WINTERTHUR
VON SERGE PINKUS

Ich habe die Ehre, Sie im Namen der Künstlerinnen Beatrice Staub und Pascale Rochat
offiziell zu deren Vernissage begrüssen zu dürfen.
Mein Name ist Serge Pinkus, ich bin selbständiger Zeichen- und Mallehrer in Zürich, selber
Künstler und Dozent an der ZHdK.
Ich kenne die beiden Künstlerinnen seit vielen Jahren. Kennengelernt haben wir uns im
Rahmen meiner Zeichenkurse. Mittlerweile kenne ich das künstlerische Werk der beiden.

Wir haben uns im Vorfeld dieser Vernissage getroffen um die Werke, die hier ausgestellt
werden, zu besprechen.
Wir waren alle drei erstaunt, wie viel es zu sagen und zu denken gibt über das
Spannungsfeld dieser zwei so unterschiedlichen Werke, die sich hier gegenüberstehen.
Darum möchte ich auch gerne ein paar Worte sagen über das, was die beiden Werke
verbindet und über das was sie in Kombination generieren:
Da haben wir einerseits CORPOREL, das Körperliche, den Körper und
andererseits STAUBARTIG, den Staub.
Beides ist uns sehr vertraut und zugleich problematisch. Beides ist zeitlos und flüchtig,
normal, unangenehm, zauberhaft und sehr typisch für das Leben.
Dann haben wir den Umgang der Künstlerinnen mit diesen Themen. Diesen Umgang möchte
ich einzeln reflektieren und dann wiederum zusammenführen.
Pascale Rochat begründet ihre Themen auf dem sich-selber-anschauen. Ohne das zu
psychologisieren ist die Betrachtung des eigenen Körpers eine Auseinandersetzung mit
sich selbst und mit der Qualität, wie das Ich zur Hülle, zum Tempel, zum ausgeliehenen,
von der Natur verliehenen Gefäss steht, in dem das Leben stattfindet.
Verschiedene Emotionen zum Thema Körper klingen in den Bildern hier an, werden
nachvollziehbar dargestellt aber auch abstrahiert.
Beim Näherrücken wird die Haut zu einer Struktur, zu einer Farbe zu einer lebendigen
Oberfläche. Da wird der Körper universell. Es muss nicht zwingend der eigene sein. Das
Sehen, die Wahrnehmung der Natur der Oberfläche macht den Akt des Sehens, die Art des
Sehens der Künstlerin selbst zum Thema.

Pascale beschäftigt sich nicht mit ihrem Gesicht, sondern mit dem, was sie selber von sich
sehen kann. Sie positioniert sich dadurch auch mit dem, was wir nicht sehen können. Eine
untypische Art der Selbstdarstellung in der heutigen Zeit. Unkompliziert bewegt sie sich als
Malerin zwischen dem Formalen und dem Symbolischen. So ist es doch, wenn man den
eigenen Körper anschaut...
- Die Struktur der Haut über Knochen und Muskulatur im engen Bildausschnitt zu
studieren kommt dem sich-vertiefen gleich.
- Die Hand, symbolisch, wie sie ist, kommt dem Tun gleich, dem Willen, der bewussten
Selbstwahrnehmung. Sie streicht über den Körper.
- Ohne Hand ist der Körper, mit seinen Falten eher Landschaft, Fluss, Treibholz.
- Das Geschlecht kommt dem Empfinden gleich, sieht immer wieder anders aus als
man denkt...
- der Körper kommt dem Sein gleich, die Hand dem Tun.
- der Bauch kommt der Zeit gleich, der Akkumulation, dem sich-setzen.
Diese Körperteile und Körper kommen nie zu ihrem Ende und doch ist das Altern auch ein
Thema....
Dieser Wiederspruch zwischen Vergänglichkeit und Urgeschichte spannt die Triebfeder für
die Auseinanderstzung mit dem, was so nah ist, dass man es im Alltag nicht so sieht wie es
wirklich ist.
Und hier sind wir wieder beim STAUBARTIGEN.
Den Staub sieht man auch nicht wirklich, wenn man sich nicht darum bemüht. Man
weiss zwar, dass er da ist, genauso wie der Körper... aber eben.
Es gibt auch eine weitere Verbindung zwischen dem Körper und dem Staub. Die Tatsache
nämlich, dass der Körper selber Staub produziert! Und viel davon!
Für uns alle, die wir in Wohnungen leben, besteht der Staub zu einem grossen Teil also aus
uns selber!
Beatrice Staub, deren Name sogar staubartig klingt, hat sich eingehend mit dieser grossen
kleinteiligen Alltagsmaterie befasst.
Bei der genauen Betrachtung und Fotografie dieser Partikel und Zusammenhäufungen
entfällt das Symbolische. Das Körperliche wirkt umso stärker. Wir haben es mit
wilden, witzigen, abstossenden und doch harmlosen Wesen zu tun. Gebilde, die
Gefühle der Bewunderung und des Schreckens auslösen. Mit denen lebe ich
zusammen?!
Der wissenschaftlich anmutende Blick in die Petrischale, das Inventar der Formen, der
Farben und Komponenten führen uns auf eine riesige Ebene voller Geschichten.
Verwickelte, durch Zufall und elektrostatische Anziehung zu Einheiten
zusammengeballte Gebilde, erinnern uns an Kunstobjekte.
In dieser reichen naturgegebenen Variation findet Beatrice ihren eigenen Weg und managt
diese schwer fassbaren Dinge in Kompositionen auf der Ebene der Kunstherstellung. Das

vereinfacht die Wahrnehmung und das Verständnis für das unendlich Komplexe dieser
Materie.
Was bleibt ist ein Hinweis.
Ein Hinweis auf eine ganze Welt, die zu uns gehört, die wir aber nicht unbedingt
wohlwollend anerkennen.
Es ist auch ein Hinweis auf die Möglichkeit der Empathie.
Und dieser Hinweis teilen sich Pascale Rochat und Beatrice Staub. Die Empathie für das, was
ist, wie es ist, wenn auch von ausserhalb des Fokus, der von uns erwartet wird.
Das ist ein Wert.
Ein Staubknäuel in der eigenen Wohnung und der eigene Körper erhält neuen Wert,
wenn man ihn sich ansieht.
Hier sehen wir die Werke zweier Künstlerinnen, die dem omnipräsent Peripheren Wert
verleihen.
Deshalb gratuliere ich zur Vernissage dieser Arbeiten, dieser Arbeit!
Und ich möchte mich herzlich bedanken bei den beiden Künstlerinnen, dass ich hier
persönlich, bzw. körperlich anwesend sein konnte und mit Worten und heisser Luft eine
philosophische Staubwolke aufwirbeln durfte!

Einen schönen Abend!
©Serge Pinkus 2018