Reflexionen im Owi-Zentrum

2012/13 I Ausstellung I Vernissage mit Tiziana Carraro | lic phil 1 Kunsthistorikerin |

Reflexionen im Owi-Zentrum

Die Winterthurer Künstlerin Beatrice Staub befindet sich auf einem Entwicklungsweg voller interessanter Wandlungen. Aus unseren Gesprächen hat sich mir eine Persönlichkeit gezeigt, die voller Interessen und voller Neugierde ist, verschiedenste kunstthematische Gebiete bereits bearbeitet hat, aber ebenso viele kreative Ideen hat, die noch auf ihre Verwirklichung warten.

 

Sie verfügt über eine sehr breite Palette von Techniken, dank deren sie an die Umsetzung ihrer Projekte geht. Im Gespräch mit ihr offenbart sich, dass ihre Inspiration aus ihrer Auseinandersetzung mit Kunst aus vergangenen Epochen, aber vor allem der Kunst des 20/21 Jahrhundert stammt, daneben bewegt sie sich in vielen Wissensgebieten, aus denen sie Anregungen schöpft, sei es die Philosophie, die Religion oder die Meditation.

Zahlreiche Besuche der Sommerakademie Salzburg haben ihre künstlerische Sprache verfeinert, doch ist ihre Suche nach immer neuartigen Wegen des Ausdrucks noch nicht abgeschlossen.

Verfolgt man die Künstlerin auf ihrem Werdegang, so beschäftigte sie sich früher (in den späten 90er Jahren) vor allem in abstrakter Malerei mit Formuntersuchungen und mit Farbauseinandersetzungen; und als Gegensatz dazu mit Materialbildern (den sogenannten "Raumszenen" im grossen Ausstellungsraum), so hat sie sich mittlerweile eine neue Perspektive eröffnet, indem sie sich mit Fotografie und deren Verarbeitung zu packenden und geheimnisvollen Bildlandschaften beschäftigt.

Nun stellt sie in der heute eröffneten Ausstellung ihre jüngsten Arbeiten und damit auch ihre jüngste Entwicklung vor, nebst auch älteren Arbeiten.

Zu den älteren Arbeiten gehören die "Raumszenen', von denen wir einige auf den Regalen finden. Es handelt sich dabei um Holzkästen, die sie dem Schreiner Peter Amstad in Auftrag gegeben hat, und deren Deckfläche sie bereichert. Der Eingriff besteht darin, mit Materialien wie Jute, Gaze, Schnüren, Papier, und dann mit Deckweiss und schwarzen Stiften eine zwischen Textur und Malerei schwankende Oberfläche zu schaffen. Man könnte ebenso von reliefartiger Oberfläche sprechen, so wie die Arbeiten ins Dreidimensionale greifen. Für die Künstlerin eröffnete sich hier ein freies Feld der Schaffenslust, die Platz bietet für die mannigfaltigsten Assoziationen, Geschichten von Begegnungen der Materialien spielen sich ab, obwohl sie sich ein strenges Formen- und Materialkorsett auferlegt hat, dessen Möglichkeiten sie aber ausreizte und so ein serielles Werk schuf. In dieser Aneinanderreihung von einfachen Formen, was die Kästchen anbelangt, und in dieser Strenge der Mittel lässt sich kunsthistorisch eine Parallele zur Post Minimal Art erblicken.

Reflexionen: dies der Name der Ausstellung. Das Wort "Reflexion" ist mehrdeutig: einerseits bedeutet es "Spiegelung, andererseits "Überlegung. Einmal wird der Lichtstrahl zurückgeworfen, so dass die Umgebung wiedergegeben wird, dann geht es um einen Gedanken, der im übertragenen Sinn von verschiedenen Seiten her beleuchtet wird und so Grundlage zu neuen Gedankengängen wird.

Bezeichnenderweise handelt es sich bei Beatrice Staub um eine Künstlerin, deren Arbeiten Hand in Hand gehen mit Reflexion über ihre eigene Kreativität. So können wir auch den Übergang von den "Raumszenen", die man auch als Materialbilder bezeichnen kann, zu Malerei und Fotografie nachvollziehen.

Die Nähe zwischen Malerei und Fotografie und Materialbilder ergibt sich meiner Meinung nach in der Bedeutung der Textur, einer bestimmten Art, mit Oberflächenbeschaffenheit umzugehen, deren Charakteristik aufzuzeigen. Beatrice Staub beobachtet genau, schafft fotografische Dokumente ihrer Sehentdeckungen. Mal sind es zerbrochene Scheiben, die die Aufmerksamkeit auf einen sich dahinter befindenden Menschen lenken (,‚Mann" und "Frau" von 2003), mal sind es Spiegelungen in Wasseroberflächen, die sich durch die Wellenbewegung brechen (dieses Thema wird durch die Arbeiten "Wasserspiegelungen in Stockholm" 2000, "Blausee" 1-1V 2007 und ""Menschen im Alltag" 1 - 1112000 behandelt).

 

Diese Reflexbilder auf Wasserflächen führen in das Gebiet von surrealen, weil assoziationsreichen Gebilden, dann aber auch zu Anwandlungen von Abstraktionen.

In einem besonderen Fall gilt die Beobachtung einer aussergewöhnlichen Entfaltung einer Welle: innerhalb von wassergefüllten Klangkörpern, den sehr originellen Instrumenten, die von Martin Spühler geschaffen werden, entwickeln sich mit dem erzeugten Ton Wellenbewegungen, die einzufangen Beatrice Staub sich zur Aufgabe gemacht hat. Leuchtstäbe über der Wasseroberfläche spiegeln sich im Wasser, das die perfekte Reflexion aber wegen der Schwingungen, die sich zu kleinen Wellen formieren, bricht.

Sind diese Bilder im Kasten - für sich schon ein hartes Stück Arbeit -geht hier die Suche der Künstlerin noch weiter, denn: Jetzt beginnt eine andere Arbeit, nämlich die des Herauskristallisierens von nun im Bild inhärenten Mustern oder Zeichen, die sie aber erst aus der Materie herausholen muss. Dies geschieht durch schrittweise Manipulationen an den Bildern, bis sich bestimmte Formen, die zum Teil auch organisch erscheinen, aus der Bildinformation herauslösen und herausspringen (die Werke "Licht-Klang-Dialog" 1 - III, 2009, von denen zwei im grossen Ausstellungsraum hängen).

Als würde der Ton im Wasser leben, und sich lebendige Zeichen seiner Existenz vor unseren Augen materialisieren würden: So tanzen und schweben nun verschiedenfarbige lineare Gefüge und körper-ähnliche Wesen vor helleren Flächen. Die Materie wirkt vergeistigt, man erahnt einen magischen Zauber, der diesem Vorgang des Sichtbarmachens von Frequenz-wellen im Wasser innewohnt. Abstrakte Gebilde stehen hier für die Suche nach Verbildlichung des nur Erahnbaren, als hätte die Klanggestalt ein Geheimnis für unsere Entdeckung bereit gehalten.

Angeregt werden solche Arbeiten von der tiefen Überzeugung der Gleichwertigkeit von Ton und Bild im Erlebnis, für das die Künstlerin eine adäquate Bildgebung besorgt.

In diesem Sinn haben wir veritable Klangbilder vor uns. In der Folge der Ausstellung begegnet man weiteren Klangbildern wie "Farbklänge" 1 - III (2006), "Lichtballett" 1 - VI (2010), diese übrigens einen Dialog zwischen zwei sich spiegelnden Lichtröhren darstellend, und "LichtKlang-Reflexion 1 - III (2007).

Von nicht allzu weit weg winken die Surrealisten: unter der Zeichenhaftigkeit des Alltags versteckte sich auch in ihren Augen etwas, das die Realität übersteigt, das aber alle Wirklichkeit in sich konzentriert, in verschlüsselter Erscheinungsweise. Vor diesem Hintergrund besehen, kann man auch mit Beatrice Staubs Werken auf die Reise in die surreale Welt gehen.

Nicht nur diese Bilder, auch die folgenden zeigen deutlich auf: die Künstlerin geht mit dem Bildmaterial stark manipulativ vor, aber auch immer sehr einfühlsam, als hätte sie einen Geist in der Flasche, den es herauszulassen, aber nicht zu verlieren gilt.

Im zentralen Raum hängen die Werke "Lichtreflexe violett" I - II. Anhand dieser Werke lässt sich ein weiterer experimenteller Schritt der Künstlerin beobachten: auf einem schneebedeckten Friedhof schafft sie Bilder, indem sie abdrückt, während sie mit dem Zoom das Bild heranholt. Das Ergebnis ist ein dynamisch wirkendes Bild, dessen schwarzweisse Erscheinung mit Farben voller Ahnungen betont wird.

Ein Werk in Serie von sechs Bildern in Zusammenstellung von zwei Reihen von je drei Bildern, dem Werk "Klangteppich" von 2008, möchte ich eingehender beschreiben, da es für den Betrachter als eine Steigerung und Intensivierung des Schauens erscheint: wie verwandelt sich unser Sehen, unser alltägliches Sehen, in das Sehen der Künstlerin, wie funktioniert ihre Übersetzung in Texturoberflächen des Gesehenen? Zu bedenken ist dabei, dass die Fülle der dinglichen Erscheinungen jeden Künstler vor die Wahl setzt, wie er damit umgehen will.

Beatrice Staub entscheidet sich für ein äusserst starkes Betonen von Strukturen, die sie innerhalb eines Ausschnitts einer Wiedergabe findet. Diesen einen Ausschnitt wiederholt sie in sechs Variationen, die wir in zwei Reihen übereinander dicht an dicht vorfinden.

Sie verändert auch hier stark die ursprüngliche Erscheinung: sie schafft chromatische Deklinationen, Wechselwirkungen von farblichen Akzenten, Verschiebungen innerhalb der Farbskala und des Farbkreises. Allerdings: Jegliche Verbindung mit dem ursprünglich Fotografierten geht weitgehend verloren, Es finden Überlagerungen statt. Das Ergebnis ist eine serielle Arbeit: Für das Auge durchaus einladend, führt die Zusammenstellung (in der 6erSerie, 3 oben und 3 unten) zur Betrachtung über sechs verschiedene Bildfelder. Die Reihung

 

ist wichtig, die Wiederholung und das Wiedererkennen von sich repetierenden Elementen, die gleich scheinen und sich doch in der Farbigkeit unterscheiden. Das Reduzieren der Farbigkeit kommt einer Lesehilfe gleich, zugleich erhöht sich aber auch der bedeutsam werdende Wert der Wiederholung. Das Auge beginnt zu vergleichen und zu erkennen. Im Geiste kann man die Reihe auch weiter fortsetzen, und so hat sich ein Wert verinnerlichen lassen. So kommt es zu einem Erkennen im doppelten Sinne: über die Einsicht der wiederkehrenden Muster erkennt man die Bedeutung von Zeichenhaftigkeit in der Natur: für den Menschen sind gerade solche Reihungen, solche Serien, solche logisch erkennbaren Eigenschaften ungemein reizvoll. Man denke nur an die Anziehungskraft von sprachlichen oder musikalischen Reihungen (in Form von Versrhythmen oder Musiktakten), und so verhält es sich auch beim Betrachten dieser Zeichenserie, die wir zudem als Reduktion, als Konzentrat erleben. Diese Reduktion, diese Konzentration, bedeutet für die Künstlerin, auf welche Art und Weise sie in den unüberblickbaren Reichtum der Natur eingreift: sie dringt gedanklich in diese Fülle, in dieses Chaos ein, und bändigt das pralle Leben. Herrscht in der Natur augenscheinlich auch das Chaos vor, so erschafft sie die Harmonie durch ihre Bilderwelt.

Zum Gebiet der Reflexe und ihrer Wiedergabe ist zu sagen, dass sich die Künstlerin in einer vergleichbaren Ausgangslage wie die Impressionisten befindet: aus lauter Interesse für die wirklich wahren Seheindrücke berücksichtigten Maler wie Renoir und Monet auch den erlebten Moment des Betrachtens. Anstatt wie klassisch ausgebildete Maler den Ewigkeitswert der dargestellten Welt wiederzugeben, interessierten sie sich für die Verweildauer des Auges auf der betrachteten Oberfläche und somit auch für das Glitzern und Schimmern von Sonnenstrahlen auf dem Wasser, oder für die von unserem physiologischen Sehen her bedingten Hervorrufen von komplementären Farben, wenn die jeweils andere laut Farbenkreis komplementäre Farbe unsere Sinne reizt. Massgeblich bei den Impressionisten war, dass das Ergebnis ihrer Suche die Schaffung einer neuen Malweise war, die wir rein technisch als Punkt- und Tupfenmalerei beschreiben, die die Farben in ihrer Komplementarität zum Leuchten brachte. Nicht mehr das Was, sondern das Wie der Malerei wurde wichtig.

Wie die Impressionisten, so fasziniert auch Beatrice Staub die Betrachtung und die Bedeutungstiefe von Wasser: Betrachtungen werden eingefangen, und hinübergeführt in andere Bedeutungsebenen. Bedeutsam ist dabei, dass die Künstlerin diese Denk- und Schaffensarbeit neu leistet, in Bezug auf ihre Lebenswelt, so dass ihre Werke in der zeitgenössischen Umgebung einen Beitrag leisten können. Auch sie leistet ihren Beitrag dazu, die Ausdrucksmöglichkeiten zu weiten.

So kann ich festhalten: Auf ihre Weise betont Beatrice Staub die Eigenständigkeit der Erscheinung und offenbart so ihr volles Vertrauen in die Dinglichkeit, die ihre eigene Wahrheit entfaltet und entblösst, so dass aus der Dinglichkeit der Welt die Geistigkeit des Menschen spriessen kann. Zu diesem Zweck erobert sie das Reich der Transparenz und des Schwebenden, entdeckt und entfaltet sie die Welt der Farbtextur, die Ebene der Farbschicht, so dass die rein materielle Erscheinung der Farbe auf dem Träger jeweils Fenster zu höheren Ebenen der Erfahrung wird.

 

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